Cu Chi Tunnel

Wie schon erwähnt, spielt der Vietnamkrieg (1955–1975) immer noch eine wichtige Rolle im kollektiven Bewusstsein der Vietnamesen. Im War Remnants Museum in Ho-Chi-Minh-Stadt kann man sich über diesen Konflikt informieren. Wie das Leben im Krieg für die tausende Soldaten der nordvietnamesischen Armee in Südvietnam (Vietcong) aussah, erfährt man bei den Cu Chi Tunneln, 70 km von Ho-Chi-Minh-Stadt entfernt. Bei den Tunneln handelt es sich um ein Netzwerk, durch das nordvietnamesische Guerillas nach Südvietnam einsickerten. Mit seiner Nähe sowohl zum benachbarten Kambodscha als auch zu Saigon war das Tunnelsystem, das inmitten ausgedehnter Kautschukplantagen liegt, die ideale Basis für Angriffe auf die Hauptstadt Südvietnams. Dementsprechend hart umkämpft war das Gebiet. US-Amerikanische und südvietnamesische Soldaten versuchten mit allen Mitteln, die Tunnel zu lokalisieren und zu zerstören, während Vietcong-Kämpfer ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem übermächtigen Gegner spielten und dabei viel Einfallsreichtum an den Tag legten.

Die Auswahl an Touren ist groß: Ich entschied mich für die halbtägige Tour mit Vietnam Travel Group für etwa 15 Euro. Man kann auch Touren für mehr oder weniger Geld bekommen, ich fand den Preis jedoch angemessen. Abholung beim Hostel, akklimatisierter Van und ein Mittagessen waren im Preis inbegriffen und der Kaffeefahrt-Faktor (mehr dazu im Beitrag über die Mekong-Delta-Tour!) hielt sich in Grenzen. Auch war unser Guide, Joey, sehr freundlich, motiviert und kompetent.

Die Fahrt zu den Tunneln dauert je nach Verkehrslage 1–2 Stunden, wir machten jedoch einen Zwischenstopp bei einem Rastplatz – nicht nur, um den „Happy Room“ aufzusuchen, sondern auch um eine Kunstwerkstatt zu besuchen, die von Opfern des Entlaubungsmitteln Agent Orange betrieben wird. Die Invaliden stellen dort aus natürlichen Zutaten wie Eierschalen und Muschelschalen beeindruckende Kunstwerke her, die man im Shop des Atteliers käuflich erwerben kann.

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Bei den Tunneln angekommen, die bereits mit Massen an hauptsächlich japanischen Touristen überfüllt waren, sahen wir uns zuerst eine „Dokumentation“ über die Geschichte der Tunnel während des Krieges an, die jedoch eher an Kriegspropaganda erinnerte und die Errungenschaften besonders ausgezeichneter „American Killer“ feierte. Eine ausgewogene Beleuchtung der Kriegsverbrechen beider Parteien sucht man hier, wie auch in Ho-Chi-Minh-City, vergebens. Danach führte uns Joey durch einen Kautschukwald und zeigte uns verschiedene Nachbauten aus der Kriegszeit. Sehr erschreckend fand ich die Fallen, die von den Vietcong-Soldaten gelegt wurden, um die amerikanischen Soldaten zu dezimieren – darunter getarnte Falltüren mit angespitzten Bambuspflöcken und tödliche schwingende Pendel.

 

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Möchte man nicht an den Kopf bekommen – eine mit Nageln gespickte schwingende Kugel

Die Genialität der Nordvietnamesen beschränkte sich jedoch nicht auf das Legen von Fallen: Ausgeklügelte Belüftungssysteme, unterirdische Werkstätten und Küchen, sogar Schuhe, die verkehrt herum beschlagen waren, um den Gegner in die Irre zu führen, zeugen von einem Einfallsreichtum, der die größte Supermacht der Welt trotz technischer Überlegenheit nicht viel entgegen zu setzen hatte.

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Auch einen zerstörten amerikanischen Panzer kann man besichtigen und erklettern.

Wenn man die Exponate abschreitet, kann man aus der Ferne bereits Schüsse hören. Diese stammen von einem Schießplatz, auf dem man selbst die Waffen aus dem Vietnamkrieg, darunter AK 47 und das amerikanische M60 Maschinengewehr ausprobieren kann. Für viele ist dies wohl ein Highlight der Tour – ich entschied mich jedoch dagegen. Zum einen fand ich den Preis von umgerechnet 25 Euro für 10 Patronen sehr teuer (weniger als 10 Kugeln sind nicht möglich); zum anderen hätte ich ein komisches Gefühl gehabt, in der Gegenwart eines Mitglieds unserer Tour – eines australischen Vietnamveteranen – mit Gewehren herumzuspielen, die er eventuell im Ernstfall benutzen musste. Der Schießstand war für mich auch ein perfektes Beispiel dafür, wie die Vietnamesen mit ihrer Kriegsvergangenheit umgehen: Einerseits werden die Kriegsverbrechen des Westens schonungslos und in ernstem Ton dokumentiert; andererseits hat man kein Problem, westliche Touristen bei einem Mahnmahl des Krieges „Rambo-Man“ spielen zu lassen, was die Ernsthaftigkeit der Geschichtsaufarbeitung etwas trübt. Man stelle sich einmal vor, französische Fremdenführer würden beim Denkmal der Schlacht von Verdun einen Schießplatz aufstellen und damit Geld verdienen. Doch das hier ist Vietnam und derselbe Einfallsreichtum, mit dem die Vietnamesen vor 40 Jahren die Feinde aus dem Land getrieben haben, spült heute das Geld in die Kassen der Tourismusindustrie. Und wer hätte schon das Recht, das zu kritisieren?

Während einige Mitglieder meiner Gruppe also ihren juckenden Abzugsfinger befriedigten, sah ich mir mit den Anderen an, wie Reispapier hergestellt wird – ein friedliebendes, nicht ganz passendes, aber interessantes Kontrastprogramm.

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Auf Bambusmatten wird das Reispapier zum Trocknen ausgelegt.

Weiter ging es mit meinem persönlichen Highlight: Endlich durften wir selbst in die Tunnel steigen, in denen die vietnamesischen Kämpfer einst gelebt hatten. Die Tunnel wurden extra für westliche Touristen breiter gebaut, sind aber trotzdem so eng, dass man nur gebückt laufen kann. Die schwüle Hitze trägt zum beklemmenden Gefühl bei und nur 20 Meter im Tunnel brachten mich heftig ins Schwitzen. Dafür wurden wir nach unserem Aufstieg ans Tageslicht mit einer örtlichen Delikatesse belohnt: Dem Cu Chi Hamburger. Dabei handelt es sich um gekochte Manjok-Wurzel, ein Hauptnahrungsmittel der Vietcong-Kämpfer im Krieg. Mit gemahlenen Erdnüssen und Zucker auch gar nicht übel.

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Bevor es zurück zum Van ging, zeigte uns Joey noch einen der Eingänge, durch die die Kämpfer damals die Tunnel betraten. Jeder von uns durfte sich einmal durch den engen Eingang zwängen und die getarnte Falltür hinter sich zumachen. Ein sehr enges Erlebnis, aber durchaus spaßig. Auf dem Rückweg nach Ho-Chi-Minh-Stadt erhielten wir schließlich unser Mittagessen und ich machte mich auf den Weg zum Hostel. Insgesamt kann ich die Tour nur empfehlen. Die Cu Chi Tunnel sind ein Muss, wenn man in Ho-Chi-Minh-City ist und eine wichtige Episode der Vietnamesischen Geschichte hautnah erleben will, anstatt sie nur im Museum kennen zu lernen.

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