Fight Club – Kapitalismus, Erleuchtung und Männlichkeit

ACHTUNG: enthält Spoiler!

Ich bin endlich einmal dazu gekommen, die Romanvorlage für einen meiner Lieblingsfilme zu lesen – „Fight Club“ von Chuck Palahniuk, im Jahr 1999 mit Edward Norton und Brad Pitt in den Hauptrollen verfilmt. Der Film hält sich (bis auf das Ende und ein paar Details) eng an das Buch, das komplett aus der Sicht des namenlosen Protagonisten geschrieben ist.

Dieser ist etwa 25-35 Jahre alt, arbeitet als Rückrufkoordinator für einen namhaften Autohersteller und leidet unter Schlaflosigkeit. Außerdem ist er mit seinem Leben unzufrieden und wird von Suizidgedanken heimgesucht:

„Jedes mal, wenn das Flugzeug bei Start oder Landung zu scharf in die Kurve ging, betete ich um einen Absturz… Oder einen Zusammenstoß in der Luft.. Irgendwas.“

Durch seine Schlafstörung und Depression verliert der Protagonist immer mehr den Kontakt zur Realität und entwickelt schließlich eine gespaltene Persönlichkeit. Tagsüber arbeitet er als unauffälliger Angestellter, nach dem Schlafengehen jedoch übernimmt sein Alter Ego, Tyler Durden. Dieser verkörpert alles, was der Protagonist nicht ist, aber gerne sein möchte:

„All das, was du immer sein wolltest, das bin ich. Ich sehe aus, wie du aussehen willst. Ich ficke, wie du ficken willst. Ich bin intelligent, begabt und das Wichtigste: Ich hab all die Freiheiten, die du nicht hast.“

Tyler Durden ist die Persönlichkeit, die sich der Protagonist unbewusst selber schafft, um mit seiner ausweglosen Situation fertig zu werden. Der Film gibt deutliche Hinweise, dass beide dieselbe Person sind, der Protagonist entdeckt dies jedoch erst, als es zu spät ist. Zu diesem Zeitpunkt übernimmt Tyler Durden immer mehr die Kontrolle, und wie im Roman Dr. Jeckyl und Mr. Hyde versucht der Protagonist nun verzweifelt, den Schaden, den er Nachts als Tyler Durden angerichtet hat, wieder gut zu machen und seinen destruktiven Plan – Project Mayhem – aufzuhalten. Was sind nun die Wertvorstellungen und Ideen dieses Tyler Durden, des unterdrückten Aspekts in der Seele des Protagonisten? Welche Motive machen den Roman und den Film für Leser und Zuschauer auch 20 Jahre nach seinem Erscheinen noch so faszinierend?

Antimaterialismus und Erleuchtung

Das Buch und der Film spielen sehr stark mit der Oberflächlichkeit des amerikanischen Turbokapitalismus der 90er-Jahre, nach den Steuersenkungen Ronald Reagons und inmitten des Spekulationsbooms an der Wallstreet. Der Film nimmt, ähnlich wie American Psycho, die oberflächliche Juppie-Kultur der 90er Jahre auf die Schippe, und der Protagonist ist einer ihrer stereotypen Vertreter: Er ist besessen von materiellen Gütern, vor allem Möbeln und Einrichtungsgegenständen, um seine bedeutungslose Existenz zu füllen: „Früher hatten wir Pornos durchgeblättert, jetzt waren es Wohndesign-Kataloge“. Tyler Durden dagegen wohnt in einem heruntergekommenen Haus und lehnt die Ansammlung materieller Dinge ab. Diese erzeugen seiner Meinung nach nur die Illusion von Vollständigkeit (Wenn ich noch dies oder jenes habe, werde ich glücklich…) und Perfektion, die den Menschen versklavt: „Die Dinge, die du besitzt, besitzen irgendwann dich!“ Überhaupt ist es eine Illusion, sein Leben verbessern zu wollen, indem man es kontrollieren will (und Konsum ist lediglich nichts anderes als der Versuch der Kontrolle über sein Wohlbefinden). Diese Kontrolle soll der Protagonist laut Tyler fahren lassen, um endlich richtig und authentisch zu leben.

Fight Club kreist immer wieder um das Thema Tod – durch die Augen der einzigen weiblichen Hauptfigur Marla Singer in bedrohlichem Ton geschildert, aber durch Tyler Durden romantisch verklärt. Für Tyler ist die unausweichliche Tatsache, dass wir sterben werden, die großartigste und befreiendste Erkenntnis, die es gibt. Diese Amor Fati, um mit Nietzsche zu sprechen die vollkommene Bejahung der eigenen Sterblichkeit und damit einhergehend die völlige Bejahung des Lebens selbst, stellt für Tyler die Erleuchtung dar, auf die bereits im Leben hingearbeitet werden soll: „Erst wenn wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun!“ In der Person Tyler Durdens verätzt sich der Protagonist selbst mit Lauge, fährt absichtlich in einen Straßengraben und lässt sich im Fight Club halb tot schlagen, nur um seine eigene Sterblichkeit zu spüren, und „dem Abgrund ein Stück näher zu kommen“. Schließlich befreit das Gedenken an den Tod von den vielen Konventionen und Verpflichtungen, die der Protagonist als Belastung erlebt. Genau wie die Außenwelt nur durch einen dämpfenden Schleier wahrgenommen wird, wenn der Protagonist sich von seinem Adrenalinrausch im Fight Club erholt, erscheinen die Probleme und Leiden des irdischen Daseins als unbedeutend im Lichte des unausweichlichen eigenen Todes.

Mit der absoluten Bejahung und romantischen Verklärung der eigenen Sterblichkeit geht ein weiteres Ideal Tylers einher, das Anleihen an die fernöstliche Philosophie zeigt: die Wertschätzung des Augenblicks als einziger Realität frei von Illusionen. Während der Protagonist in einer Scheinwelt lebt – er besucht Selbsthilfegruppen von unheilbar Kranken und praktiziert geführte Meditation, um sich an einen besseren Ort zu wünschen – zählt für Tyler Durden nur der jetzige Moment, egal ob schön, hässlich oder schmerzhaft. Dies wird besonders deutlich, als Tyler dem Protagonisten ätzende Lauge über die Hand schüttet: Der Protagonist soll nicht versuchen, den Schmerz zu verdrängen, sich einen anderen Ort vorzustellen, sondern er soll den Schmerz bewusst wahrnehmen und annehmen. Dies erinnert an buddhistische Achtsamkeitspraxis, etwa ausgedrückt im Zitat des Buddha aus dem Sutra über die Kenntnis vom besseren Weg des Alleinseins: „Unsere Verabredung mit dem Leben findet im gegenwärtigen Augenblick statt. Und der Treffpunkt ist genau da, wo wir uns gerade befinden.“ Viele buddhistische Mönche waren und sind in der Lage, unmenschliche Schmerzen zu ertragen, da sie durch Meditation darin geübt sind, den schmerzhaften Moment nicht zu verdrängen, sondern voll und ganz anzunehmen und ihm damit den Leidens-Aspekt zu nehmen (man denke an Mönche, die sich selbst Zähne ziehen oder an den extremsten Fall: Mönche, die sich selbst mit Benzin übergießen und verbrennen, wobei sie völlig unbewegt und schmerzfrei bleiben). Natürlich spielt in der buddhistischen Lehre der moralische Aspekt (Sila) eine wichtige Rolle – ein reines Herz, frei von Begierden ist nach buddhistischer Meinung die Voraussetzung, unsägliche Schmerzen ohne Regung zu ertragen. Doch diese Reinheit von Begierden fehlt dem geistesgestörten Protagonisten – der Schmerz wird nur oberflächlich angenommen, in Wirklichkeit jedoch ist der Rausch des Schmerzens, des Leidens nur ein Kick und als Droge eine Ablenkung von der grausamen Wirklichkeit. Mit dem Ertragen von Schmerz hängt jedoch ein weiterer Aspekt von Tylers Weltsicht zusammen:

Männlichkeit

Die Pole Männlich und Weiblich spielen in Fight Club eine wichtige Rolle, auch wenn nur eine weibliche Hauptfigur auftaucht. Der namenlose Protagonist steht für das weibliche Prinzip: Er ist passiv, weich, ängstlich, nervös und wenig durchsetzungsfähig. An seinen Vater, die wichtigste männliche Bezugsperson in seinem Leben, hat er nur wage Erinnerungen. Auch die Männer, mit denen er sich umgibt, verkörpern alle dieses Prinzip: Als der Protagonist nicht schlafen kann, besucht er eine Selbsthilfegruppe für Hodenkrebs-Patienten, von denen viele durch die Krankheit unfruchtbar und impotent geworden sind. Der Verlust der Genitalien steht für den Verlust der Männlichkeit, und mit diesen Männern identifiziert sich der Protagonist. Das einzige, was gegen seine Schlafstörungen hilft, ist, sich an der Brust eines ehemaligen Bodybuilders namens Robert Paulson auszuweinen. Weinen, sich umarmen, über seine Probleme sprechen – das sind die weiblichen Bewältigungsstrategien des Protagonisten, zumindest bis Tyler in sein Leben tritt. Tyler ist das genaue Gegenteil: Er ist maskulin, kräftig, impulsiv, unabhängig und potent – ein Alpha-Männchen, wie es im Buche steht. Er ist der männliche Gegenpol zur weiblichen Seite des Protagonisten – nicht umsonst schildert dieser, die beiden würden unter der Woche wie ein altes Ehepaar zusammen wohnen, wobei der Protagonist die Rolle der Ehefrau übernimmt.

Bei den Selbsthilfegruppen für chronisch Kranke findet der Protagonist ein Ventil für seine Frustration und Verzweiflung – doch nur so lange, bis Marla Singer auftaucht und droht, seinen Schwindel auffliegen zu lassen – schließlich ist er überhaupt nicht krank, sondern sucht nur Aufmerksamkeit und Nähe. Zusammen mit Tyler startet der Protagonist den Fight Club und definiert damit seine Männlichkeit neu.

Im Fight Club kämpfen zwei Männer gegeneinander, während die anderen einen Kreis um die Kämpfer bilden und sie anfeuern. Die Kämpfe – einer gegen einen, ohne Hemd und Schuhe, so lange, wie sie dauern müssen – ähneln einem archaischen Ritual, bei der die Neuankömmlinge ihre feminine Seite abstreifen und in eine Gemeinschaft von Männern initiiert werden: Der Fight Club ist das genaue Gegenteil der Selbsthilfegruppen. Die Mitglieder des Fight Clubs dürfen nicht über den Fight Club reden, aber sie tragen ihre Narben – blaue Augen, Prellungen, ausgeschlagene Zähne – als Erkennungszeichen und Trophäen. Nicht umsonst wird ein junger Mann namens „Angel Face“, der vom Protagonisten übel zugerichtet und entstellt wird, im Roman zum ersten Rekruten des Projekt Chaos, der nächsten Stufe des Fight Clubs. Aussehen spielt im Fight Club keine Rolle, im Gegenteil – wer sich am meisten verunstalten lässt, beweist die größte Verachtung für die eigene Gesundheit und steht somit ganz oben in der Hierarchie.

Statt Emotionen und Körperlichkeit stehen im Fight Club Aggression und Mut im Vordergrund. Dabei ist es nicht wichtig, wer gewinnt oder verliert – das Austeilen und Einstecken von Schmerzen, das Standhalten vor dem Gegner, die im Kampf zugezogenen Verletzungen – all das sind Zeichen der Männlichkeit. Statt sich emotional verletzlich zu machen und zu öffnen, blendet der Kämpfer im Adrenalinrausch die Wirklichkeit aus – sie wird im Taumel urtümlicher, steinzeitlicher Instinkte einfacher ertragen:

„Wenn der Kampf vorbei war, war nichts gelöst, aber nichts war von Bedeutung. Hinterher fühlten wir uns alle errettet.“

Auch Robert Paulson, dem nach einer Hormontherapie im Zuge seiner Hodenkrebs-Erkrankung weibliche Brüste gewachsen sind, schwärmt davon, er habe etwas Besseres gefunden als die Selbsthilfegruppen. Damit meint er den Fight Club. Das weibliche Prinzip hat ausgedient, und damit das historische Experiment der typisch weiblichen Konfliktbewältigung von Männern durch Empathie und Offenheit, die letztlich nur zu Frustration und Selbstverleugnung geführt hat.

Wenn das weibliche Prinzip abgelehnt wird, worin besteht dann Tylers Ideal von Männlichkeit? Vor allem in einer Form des Stoizismus, eines Fatalismus, der sich unempfindlich macht gegen die Widrigkeiten des Schicksals; der keine Hoffnung auf Erlösung durch eine starke Vaterfigur mehr hat und gerade aus dieser Verachtung des Schicksals ein trotziges Gefühl eigener Macht zieht. Das Widerstehen von Schmerzen im Fight Club ist nur ein Beispiel dafür:

„Ich sag dir, was: Halt dir vor Augen, dass es möglich wäre, dass Gott dich nie leiden konnte. Dass er dich nie gewollt hat. Bei realistischer Betrachtungsweise hasst er dich sogar. Aber das ist keine Katastrophe. Wir sind nicht auf ihn angewiesen. Scheiß auf Verdammnis und Wiederauferstehung… Wir sind Gottes ungewollte Kinder? So möge es sein!“

Nur wer alles verliert, hat die Chance, alles zu gewinnen; und nur wer keine Liebe und Zuneigung mehr sucht – mehr braucht – erlangt die absolute Freiheit.

Beziehungen zu Frauen spielen im männlichen Geheimbund des Fight Club keine Rolle mehr, das weibliche Prinzip wird als geheimnisvoll und gefährlich erlebt: So erwidert Tyler Durden, als er auf das Heiraten angesprochen wird:

„Wir sind `ne Generation von Männern, die von Frauen großgezogen wurden. Ich frag mich, ob noch `ne Frau wirklich die Antwort auf unsere Fragen ist.“

Das weibliche Prinzip war bisher beim Protagonisten und den anderen Mitgliedern des Fight Clubs vorherrschend, da das männliche Prinzip mit dem Rückzug des Vaters verschwunden ist. Doch das weibliche Prinzip hat aus den Männern – aus Sicht des Protagonisten – Schlappschwänze gemacht, die ihre innere Natur verleugnet haben. Das weibliche Prinzip muss demnach im Fight Club abgetötet werden. Auch wird die Frau an sich – verkörpert durch Marla Singer – als Bedrohung empfunden: Bedrohung für den Selbstbetrug des Protagonisten bei den Selbsthilfegruppen; Bedrohung für Tyler Durden – schließlich ist es Marla, die dem Protagonisten bestätigt, dass er und Tyler die gleiche Person sind. In Gestalt von Tyler Durden empfindet der Protagonist nichts als animalische Lust für Marla. Wahre Gefühle entwickelt seine weibliche, empfindsame Seite. So wird das weibliche Prinzip zu einer erlösenden Kraft im Roman, im Film sogar noch stärker, wie die Schlussszene mit dem Protagonisten und Marla verdeutlicht. Nur eine Frau schafft es, den Protagonisten wieder zurück zu holen aus seiner eigenen durch Verzweiflung und Selbstisolation geschaffenen Realität – wenn auch zu spät, um die Zerstörungsorgie des Projekt Chaos noch aufzuhalten. Die Romanvorlage bietet einen interessanteren, wenn auch weniger filmreifen Schluss: Hier folgen die Mitglieder der Selbsthilfegruppe zusammen mit Marla dem Protagonisten, auch wenn sie wissen, dass das Gebäude, in dem er sich befindet, zerstört werden soll. Das weibliche, empathische, fürsorgliche Prinzip siegt hier über den Todestrieb Tyler Durdens, der sein Werk, die Zerstörung der Wolkenkratzer, im Roman nicht vollenden kann.

Zivilisationskritik, Antikapitalismus und Konformität

Tyler Durden als destruktive Seite des Protagonisten ist nicht nur verantwortlich für den Fight Club, sondern auch für die Nachfolge-Organisation: Projekt Chaos (Project Mayhem), eine geheime Vereinigung, die nichts anderes anstrebt als die Vernichtung der US-amerikanischen, liberal-kapitalistischen Gesellschaft. Diese Gesellschaft wird vom Protagonisten in ihrer ganzen Oberflächlichkeit geschildert und karikiert: Von „portionierten Freundschaften“ auf langen Flugreisen, ohne wirkliche menschliche Kommunikation, über Kritik an der Werbeindustrie, die immer neue unnötige Bedürfnisse schafft, bis zur Verachtung von reichen Damen, die sich Fett absaugen lassen und dann teure Seife kaufen, die aus diesem Fett hergestellt wurde, prangert Tyler Durden alles an, was für ihn die Krankheit dieser Zivilisation darstellt:

“Durch die Werbung sind wir heiß auf Klamotten und Autos, machen Jobs, die wir hassen, kaufen dann Scheiße, die wir nicht brauchen.“

Das Glück durch den Konsum immer neuer Güter entpuppt sich genau so als Illusion wie die vermeintliche Chancengleichheit der amerikanischen Gesellschaft:

„Wir wurden durch das Fernsehen aufgezogen in dem Glauben, dass wir alle irgendwann mal Millionäre werden, Filmgötter, Rockstars… Werden wir aber nicht. Und das wird uns langsam klar. Und wir sind kurz, ganz kurz vorm Ausrasten.“

Der Fight Club zieht vor allem Männer der unteren Mittelschicht an – Kellner, Büroarbeiter, Mechaniker, kaum Akademiker (den Protagonisten ausgenommen). Der Hass des Fight Club richtet sich gegen die Mitglieder der amerikanischen Oberschicht, die Gewinner des Amerikanischen Traums – Firmenbosse, Politiker, Prominente. In der Rolle Tyler Durdens bezeichnet sich der Protagonist als Guerillakämpfer, nicht nur gegen die oberflächliche, saubere amerikanische Konsumgesellschaft – er schneidet Filmschnipsel aus Pornofilmen in familienfreundliche Zeichentrickfilme – sondern auch gegen die herrschende Klasse, an der er sich rächt, in dem er bei teuren Banketts als Kellner in die Suppe uriniert oder in das Essen spuckt. Der Fight Club ist gedacht als Aufstand von unten nach oben, als Vergeltung der „Zweitgeborenen der Geschichte“. So erklärt Tyler Durden einem hochrangigen Polizeibeamten, der den Fight Club schließen will:

„Pass auf: Ihr macht Jagd auf die Leute, auf die ihr angewiesen seid! Wir kochen eure Mahlzeiten, fahren eure Krankenwagen, stellen eure Anrufe durch, holen euren Müll ab. Wir bewachen euch, während ihr schlaft. Versucht nicht, uns zu verarschen!“

Wie sieht Tylers Gegenmodell zur bedeutungslosen, streng hierarchischen, ungerechten Kultur Amerikas aus? Im Grunde handelt es sich um einen archaischen Proto-Kommunismus, gepaart mit einer kruden Naturromantik in Anlehnung an Rousseau oder die amerikanischen Transzendentalisten wie Emmerson und Theraux. So träumt Tyler Durden von einem Ende der viel zu kompliziert gewordenen Hochgeschwindigkeits-Gesellschaft, von einem Rückkehr zur Natur und zu einer einfacheren, entschleunigten Lebensart:

„In der Welt, die ich sehe, jagst du Elche durch die feuchten, bewaldeten Schluchten rund um die Ruinen des Rockefeller Center. Du trägst Ledersachen, die den Rest deines Lebens halten werden. Du kletterst die dicken Kudzu-Ranken empor, die den Sears Tower umschlingen. Ein Blick hinunter, und du siehst winzige Gestalten, die Mais stampfen und Streifen von Wildbret auf der leeren Überholspur eines verlassenen Super-Highway auslegen.“

Ob es in dieser Welt Privateigentum geben soll und ob es wirklich so romantisch wäre, in eine Zeit ohne Impfungen, sauberes Trinkwasser und Antibiotika zurück zu kehren, darüber schweigt sich die Stimme des Protagonisten aus – ein Zeichen dafür, dass er sehr klare Vorstellungen davon hat, was er zerstören möchte, aber nur eine vage Idee von dem, was er an dessen Stelle setzen will.

Jede utopische Gesellschaftsidee fordert Opfer zu ihrer Verwirklichung, und Tyler Durden ist jedes Mittel recht, um die kapitalistische Gesellschaft zu Fall zu bringen. Dafür ruft er Projekt Chaos ins Leben. Hierbei handelt es sich jedoch nicht mehr um einen desorganisierten, amateurhaften Verein, in dem Männer am Wochenende ihren Frust herauslassen können, sondern um eine straff organisierte, paramilitärische, sektenähnliche Bewegung, die von den Mitgliedern völlige Hingabe verlangt. Nur wer drei volle Tage ohne Nahrung, Obdach und Ermutigung vor der Tür von Tylers zum Hauptquartier umfunktionierten Haus wartet, darf sein Training im Projekt Chaos beginnen. Dort wird der neue Rekrut einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen und erhält seine Rolle und Aufgabe in der Organisation. Die Männer des Projekt Chaos haben keine Namen und keine Individualität mehr – Tyler bezeichnet sie nur verächtlich als „Weltraumaffen – bereit sich zu opfern um einem höheren Ziel zu dienen“ – Spielfiguren in Tylers Rache an einer als ungerecht empfundenen Welt. Im Leben ist jeder Soldat des Projekt Chaos nur eine Nummer. Nur im Tod erhält er seinen Namen zurück – wie Robert Paulson, der bei einer nächtlichen Sabotageaktion von der Polizei erschossen wird – und nimmt seinen Platz als Märtyrer für die Weiterentwicklung der Menschheit ein.

Der Konformismus des Projekt Chaos, die Auslöschung der eigenen Identität und das Aufgehen in einem größeren Kollektiv, stellt für die enttäuschten, von der Gesellschaft nieder gehaltenen Männer den letzten Ausweg aus der Individualismus-Falle dar – der als zu hoch empfundenen Verantwortung, für sein eigenes Glück und Scheitern selbst verantwortlich zu sein. Hier muss man nicht lange suchen, um Parallelen in der echten Welt zu finden – die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts, Sekten und religiöse Fundamentalisten sind nur einige der traurigen Beispiele für den Herdentrieb der Menschen, dessen sich auch Tyler als charismatischer Anführer und furchtloser Visionär bedient.

Wie realistisch ist nun Tylers Sicht auf die Gesellschaft und ließe sich seine Utopie in der heutigen Welt verwirklichen? Der Roman ist nun bereits 22 Jahre alt – der Film 19 Jahre – doch trägt es wohl zur Beliebtheit dieses zeitlosen Klassikers bei, dass die Gesellschaftsprobleme, die er anspricht, heute noch genau so aktuell sind. Die Krise des Kapitalismus ist nun bereits so alt wie der Kapitalismus selbst, seit Marx seine ersten Analysen über diese Form des menschlichen Wirtschaftens aufgestellt hat. Und besonders seit der weltweiten Bankenkrise des Jahres 2008 wurden vermehrt Stimmen laut, die das amerikanische Modell des deregulierten Turbokapitalismus, besonders die Spekulation mit Unsummen von Geldern aus der Realwirtschaft, aber auch den permanenten Zwang zum Wirtschaftswachstum, die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich und den grassierenden Konsum mit seinen Problemen für die Umwelt anprangern. Von links gerichteten Gruppen in Europa, über die Occupy-Bewegung in den USA bis zu akademischen Fürsprechern einer gerechteren, humaneren kapitalistischen Ordnung zieht sich diese Kritik durch alle Gesellschaftsbereiche. Auch gewaltbereite Gruppierungen im Stile des Projekt Chaos sind uns nicht unbekannt – in Deutschland wohl am ehesten verkörpert durch linksradikale Bewegungen wie die RAF, aber auch heute noch in Gestalt links-autonomer Vereinigungen. Dieses Ziel des Projekt Chaos ist uns als nicht unbekannt.

Einher mit der Krise des Kapitalismus geht die Auflösung traditioneller Familienstrukturen und damit eine Krise der Männlichkeit. Junge Männer – heute von manchen sogar als Verlierer der Emanzipationsbewegung bezeichnet – werden in der Tat hauptsächlich von Müttern erzogen, während der Großteil der Väter sich aus dem familiären Bereich in die Sphäre der Arbeit zurückgezogen hat. War es früher der Vater, der den Jungen aus dem Bereich der Mutter, also der Frauen, herausholte und in den Bereich der Männer, in die Arbeit und die öffentliche Sphäre einführte, so fehlt diese Initiationsinstanz heute weitgehend. Damit einher gehen eine große Verunsicherung und die Frage, was eigentlich einen Mann zum Mann macht. Vermeintliche Symbole der Männlichkeit wie Alkohol- und Drogenkonsum, Risikoverhalten, Fitnesskult und Pornografie spielen heute die Rolle der Initiationsriten früherer Kulturen – ohne dass der moderne Mann jedoch seine gesellschaftliche Aufgabe und Rolle kennen würde. Die Sehnsucht nach einem klaren Rollenvorbild – einem Tyler Durden, der jungen Männern eine Vision von Männlichkeit bietet, die aus eigener Kraft zu erreichen ist, ist meiner Meinung nach auch heute vorhanden – und der Spagat zwischen Softie und Macho, zwischen dem femininen, rezeptiven Protagonisten, der seine männliche Seite unterdrücken muss, und dem maskulinen, aktiven Tyler Durden, der rücksichtlos seine Interessen auslebt,  ist für moderne Männer genau so schwierig wie für die Verunsicherten Figuren im Roman.

Interessant wäre nun die Frage, ob es auch in der echten Welt so etwas wie einen Fight Club und das Projekt Chaos geben könnte. Die Idee einer paramilitärischen Gruppierung, die die Werte des Staates und der Gesellschaft im Ganzen ablehnt und einen Umsturz derselben ablehnt, ist nicht weit hergeholt. Solche Gruppen gibt es in den USA, etwa in der Gestalt neonazistischer und rassistischer Untergrundorganisationen, dem Ku Klux Klan oder bewaffneter Milizen (etwa der sog. Oregon-Miliz), die vor allem während der Amtszeit Präsident Obamas starke Kritik am herrschenden System übten. Diesen Organisationen werden Versuche von Sabotageattacken und Sprengstoffanschlägen auf Regierungsgebäude zur Last gelegt – ähnlich wie den Soldaten des Projekt Chaos. Der Unterschied dürfte in der politischen Ideologie sein – dem Projekt Chaos fehlt die revisionistische, rassistische Ausrichtung – und in der schieren Größe.

Als dem Protagonist sein Leben immer mehr entgleitet und er sich immer öfter in Tyler Durden verwandelt, schildert er, wie er durch Amerika reist und überall Männer mit blauen Augen, Prellungen und ausgeschlagenen Zähnen sieht. Überall sprießen Fight Clubs aus dem Boden, werden Kämpfer für das Projekt Chaos rekrutiert. Die Mitglieder haben längst die Gesellschaft unterwandert und sind zu einem solchen Machtfaktor geworden, dass alle Gegner, die dem Projekt Chaos gefährlich werden könnten, einfach eingeschüchtert oder kalt gestellt werden können. Projekt Chaos kann durch die schiere Zahl der Mitglieder längst keine geheime Untergrundgesellschaft mehr sein, sondern müsste schon längst zum Staat im Staate, zur Parallelgesellschaft angewachsen sein. Und hier hören meiner Meinung nach die Parallelen zur wahren Welt auf:

Das Verschwinden einer so großen Zahl von jungen, berufstätigen Männern aus ihrem gewohnten Lebensumfeld in eine paramilitärische Vereinigung müsste bei den Angehörigen Misstrauen erzeugen – sie könnten nicht einfach spurlos verschwinden und ihre Zerstörungsakte im Verborgenen planen. Projekt Chaos besteht nicht, wie viele erfolgreiche terroristische Organisationen, aus relativ unabhängigen, lose verbundenen Zellen, sondern ist streng hierarchisch auf die Person Tyler Durdens ausgerichtet, der seine Macht durch Kommitees und Unterkommitees ausübt. Nur durch ein paar undichte Stellen wären alle Akte des Projekt Chaos auf Tyler Durden zurückzuführen, der zudem in seiner Gestalt als normaler Büroangestellter völlig ahnungslos und eine leichte Zielscheibe ist. Die Geheimhaltung ist also ein Problem. Das zweite ist die Frage der Grenze zwischen den Tätern und den Opfern von Projekt Chaos.

Der finale Plan des Projekt Chaos ist es, die Zentralen aller Kreditkarten-Institute in den Vereinigten Staaten in die Luft zu sprengen. Doch wer würde durch diese Zerstörungsorgie zu Schaden kommen? Bei der Fülle an Zielobjekten plus der Fülle der eingeweihten Mitglieder wären es mit großer Sicherheit auch die Angehörigen des Projekt Chaos – Familienmitglieder, ehemalige Freunde und Kollegen, die getötet werden würden. Ja nicht einmal Kollateralschäden in den eigenen Reihen könnten bei einer Vernichtung dieses Ausmaßes vermieden werden. Die Opfer wären nicht mehr die Mitglieder der Oberschicht – insofern diese nicht ohnehin schon in die Fight Clubs eingesickert wären, denn der Eintritt steht jedem offen und wer sagt schon, dass Reiche nicht die gleichen Probleme und Frustrationen mitbringen – sondern es wären die Mitglieder und ihresgleichen. Für einen solch suizidalen Akt wäre ein enormes Maß der Gehirnwäsche nötig. Präzedenzfälle dafür gibt es natürlich – den Massensuizid von Jonestown zum Beispiel oder das Feuergefecht zwischen Angehörigen der Davidianer-Sekte und dem FBI – aber hierbei handelte es sich um isolierte Gemeinschaften, schon geografisch. Die Mitglieder des Projekt Chaos können unmöglich alle in Baracken hausen – das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen. Sie bewegen sich also notgedrungen in der Gesellschaft und sind somit Einflüssen ausgesetzt, die mit Tylers Zivilisationskritik und Todesromantik konkurrieren: Fernsehen, Werbung, Politik, Therapeuten, Familie. Die Mitglieder des Fight Club mögen isolierte Einzelgänger sein – doch es sind Einzelgänger mit Berufen, mit gesellschaftlichen Positionen, und ihre Radikalisierung müsste auf höchster Stelle auffallen. Tyler Durden müsste schon ein Organisationsgenie höchsten Ranges sein, um so viele Männer aus so vielen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten auf einen Nenner einzuschwören. Sogar die Schaffung eines monolithischen Feindbildes halte ich für schwierig: Marx rechnete damit, die Arbeiterklasse würde sich erheben und gewaltsam gegen die Klasse der Besitzenden rebellieren. Was jedoch auf breiter Front geschah, war, dass die Arbeiterklasse versuchte, sich ökonomisch der Klasse der Kapitalisten anzupassen und diese nachzuahmen (so wie das gehobene Bürgertum die Sitten des Adels kopierte). Sich über seinen herrschsüchtigen Boss zu beschweren mag verständlich sein – das Ablassen von Frust bei einer gelungenen Tracht Prügel im Fight Club auch – doch das Ausschalten des Bosses, ja aller Besitzenden würde jeden sozialen Aufstieg zunichte und alle Menschen gleich arm machen. Natürlich könnte der Hass der Mitglieder des Fight Club auf die Oberschicht groß genug sein – historische Präzedenzen für eine solch radikale Ablehnung der bestehenden Gesellschaftsordnung sehe ich jedoch nicht, und schon gar nicht im satten Amerika der 90er Jahre mit seinen Luxusproblemen.

Der Realismus von Fight Club hält sich also in Grenzen – doch darauf kommt es nicht an. Wichtig ist nicht, ob die Vision des Films realisiert werden könnte oder nicht, sondern welches Bild der Roman und der Film dem Leser selbst zurückspiegelt. Fight Club ist so befriedigend zu lesen und anzusehen, weil er mit Problemen spielt, die jeder Mann in seinem Leben kennt. Jeder Mann wird sich, ob er will oder nicht, in gewissen Momenten im Protagonisten wiederfinden. Und er wird sich in gewissen Momenten wünschen, wie Tyler Durden zu sein. Der Film zeichnet eine faszinierende Was-wäre-wenn-Vorstellung: Er potenziert die Frustrationen des Alltags, die Unzufriedenheit mit der Gesellschaft, die Kritik am herrschenden System ins Unermessliche und stellt die Frage, was wäre, wenn sich diese destruktiven Gefühle auf höchster Ebene Bahn brechen würden, ohne von einer ziviliserenden Macht oder Vernunft zurückgehalten zu werden. Der Film erzählt uns mehr über unsere eigenen Unzulänglichkeiten, als dass er realistische Lösungen anbietet – doch dies allein kann bereits ein wirkungsvolles Ventil sein – zumindest für die Dauer des Buchs oder des Films…

 

 

 

 

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